Nachhaltig wohnen – Womit wir morgen leben wollen

Vollholzküche; Foto: Hubsch
Vollholzküchen liegen im Trend. Die Arbeitsplatte aus Messing schützt und sorgt für den urbanen Look, ohne die wohnliche Wärme optisch zu reduzieren; Foto: hubsch-interior.com

Wohnen ist ein wesentlicher Teil des Lebens, und wer könnte schon genau definieren, wo das eine aufhört und das andere beginnt. Genau deshalb ist die Einrichtung auch jenseits von stilistischen Trends dem Zeitgeist unterworfen. Dessen Zeichen stehen eindeutig auf Nachhaltigkeit und Schärfung unseres Bewusstseins für die Umwelt. Und das tatsächlich nicht nur global, sondern ebenso auf unser direktes Umfeld bezogen. Womit wir wieder beim Wohnen wären, denn was läge uns näher als die eigenen vier Wände.

Qualität statt Quantität

In Zeiten, in denen wir es gewohnt sind, alles immer und sofort haben zu können, nutzt sich das befriedigende Gefühl, sich einen Wunsch erfüllt zu haben, extrem schnell ab. Folglich erhält das Streben nach Substanziellerem mehr Gewicht. Mit dem Bedürfnis, etwas – in diesem Fall die Einrichtung – von Bestand zu schaffen, ist auch die in vielerlei Hinsicht überfällige Abkehr von „Fast Fashion“ verbunden.

Kink Vase, von Muuto
Reduziert, mit industriellen Anleihen und doch absolut charmant. Natürliche Zweige und Blüten beleben das schlichte Arrangement; Foto: MUUTO

Natürlich gilt nicht in jedem Fall, dass nur was teuer ist, auch gut ist. Andererseits dürfen Sie renommierten Unternehmen, die sich der Qualität des Wohnens verschrieben haben, durchaus Ihr Vertrauen schenken

Nachhaltigkeit zum Nicht-Sattsehen

Der Gegenentwurf zum Ex-und-hopp-Einkauf ist das Sparen auf ein (kostspieliges) Traumteil. Egal ob es ein Einrichtungsklassiker wie der Eames Lounge Chair, eine maßgefertigte Vollholzküche oder eine extravagante Designerleuchte ist, was das Herz höherschlagen lässt und das Budget übersteigt: Der Verzicht auf schnellen Konsum, um sich das Objekt der Begierde demnächst leisten zu können, steigert den individuellen Wert definitiv und ist im besten Sinne des Wortes nachhaltig. Denn die Zeit des Ansparens dient letztendlich dem gründlichen Überdenken, ob es die selbst auferlegte Askese im wahrsten Sinne des Wortes wirklich wert ist. Mit dieser wohlüberlegten Anschaffung fühlt man sich schließlich mehr verbunden als mit jenen Käufen, bei denen wir aus Kostengründen „faule“ Kompromisse eingehen mussten.

Küchenutensilien hängen an altem Holzschlitten an der Wand in einer Küch
Ein Schlitten wird, an der Wand befestigt, zum praktischen Küchenregal. Die Sitzfläche ist Ablage, die Kufen dienen als Aufhängung für S-Haken; Foto: Peter Raider/living4media

Lagom – Reduzierung ist der neue Luxus

Für das Prinzip „weniger, dafür edel“ sprechen sowohl die aktuell angesagten Einrichtungsstile, die allesamt ihre Modernität aus der Reduktion ziehen, als auch die allgemeine Notwendigkeit, unsinnigen, schnellen Konsum zu vermeiden. Dass dieser Verzicht nicht einschränkt, sondern im Gegenteil bereichert, lässt sich beeindruckend selbst erleben. Sich in einer konsequenten Aktion von unnütz und wahllos angesammeltem Schnickschnack zu trennen, sorgt für ein Gefühl der Befreiung. Die Skandinavier, die der Welt schon mit Hygge einen nachhaltigen Wohntrend nahegebracht haben, setzen nun mit Lagom, was übersetzt etwa „Mittelweg“ bedeutet, den Besitz auf den Prüfstand.

Als Leitfaden für eine Wohnwelt im Sinne von Lagom dient dieser 5-Punkte-Plan:

Trennen Sie sich von reinen Staubfängern ohne Funktion

Umgeben Sie sich ausschließlich mit Naturmaterialien

Investieren Sie lieber in ein hochwertiges Möbelstück, an dem Sie lange Freude haben

Setzen Sie auf ruhige, warme Farben und harmonische Töne einer Farbfamilie

Finden Sie Ihre persönliche Balance zwischen „so wenig wie möglich“ und „so viel wie nötig“ für Ihr eigenes, perfektes Wohlgefühl

Nur Dinge, die glücklich machen

Die Lebensphilosophie, die hinter Lagom steckt, zielt auf eine Balance zwischen dem Innen und dem Außen. Aufs Wohnen angewandt beginnt die Umsetzung mit der Frage, welches Möbel und welches Accessoire Sie wirklich brauchen und was Sie glücklich macht. Was jetzt noch nicht da ist und angeschafft werden soll, muss die Kriterien der Natürlichkeit und Nachhaltigkeit in Material, Form und Farbigkeit erfüllen. Alles Exaltierte ist fehl am Platz. Stattdessen sollen Ästhetik und Funktionalität Hand in Hand gehen. Nur schön sein reicht nicht. Die Dinge, die uns umgeben, sollen auch einen Nutzen haben.

Upcycling – die Kunst der Wiederverwertung

Nicht alles, was auf den ersten Blick nicht mehr schön genug oder brauchbar ist, muss gleich im Müll landen. Mit etwas Kreativität und Lust am Gestalten entstehen aus scheinbarem Abfall völlig neue, brauchbare Dinge, ohne wertvolle Ressourcen zu beanspruchen. Gibt man den Begriff „Upcycling“ in die Suchmaschine des Computers ein, erscheinen etliche Ideen und Anregungen, was alles aus Altglas, hölzernen Gemüsekisten, Euro-Paletten, Stoffresten und anderen Materialien mit mehr oder weniger Aufwand gefertigt werden kann. Die Inspirationen samt Anleitung im Netz sind zahlreich und animieren zum Nachmachen.

Eames Plastic Chair
Mit den Plastic Chairs haben Ray und Charles Eames Designgeschichte geschrieben. Ihr Geheimnis ist ihre unendliche Kombinierbarkeit; Foto: Vitra/Studio AKFB
Egg Chair von Designer Arne Jacobsen
Der legendäre Egg-Chair aus der Feder des dänischen Designers Arne Jacobsen ist seit seiner Premiere 1958 ein Objekt der Begierde für Einrichtungsenthusiasten. Seine Anschaffung hat nachweislich Bestand und darf somit als wahrhaft nachhaltig gelten; Foto: Mike Krüger/BelForm

Aus Alt mach Neu

Möbel, die qualitativ gut und robust gearbeitet sind, aber stilistisch einfach nicht mehr ins Ambiente passen, haben eine gute Chance, durch geschicktes Handanlegen ein neues Leben eingehaucht zu bekommen. Mit Schmirgelpapier, Lack und wenn nötig neuem Polster werden unscheinbare Stücke zu echten Unikaten. Und weil es kaum etwas zu verlieren gibt – schließlich stand das zu bearbeitende Möbel schon mit einem Fuß beim Sperrmüll –, darf ruhig mutig ans Werk gegangen werden. In den Stolz, den der Schöpfer beim Anblick und eingeheimsten Lob für sein Werk empfindet, mischt sich schließlich auch noch das gute Gefühl, der Umwelt einen echten Dienst erwiesen zu haben. Wer nicht zu den Naturtalenten unter den handwerklich Geschickten gehört oder einfach noch nicht viel Erfahrung im Umgang mit Werkzeug und Farbtopf hat, beginnt am besten mit kleinen Projekten, die ein schnelles Erfolgserlebnis versprechen.

Smaragdgrüne Kommode; Foto: Alexandra Gorn
Der smaragdgrüne Anstrich verleiht der Küchenkommode aus Massivholz Unikat-Charakter und macht sie zum Eyecatcher im Wohnraum; Foto: Alexandra Gorn/unsplash

Der unschlagbare Husch-Husch-Effekt

Dank spezieller Lacke erhalten Holzoberflächen mit schnell erledigten Pinselstrichen ein völlig neues Aussehen. Meistens reicht es, die Oberfläche leicht mit Schmirgelpapier anzurauen, mit einer Grundierung zu versehen und nach dem Trocknen die gewünschte Lieblingsfarbe gleichmäßig aufzutragen.

Zweckentfremdung ist das Stichwort für die schnellen Ready-Mades. Mit passenden Wandhalterungen werden Skateboard-Deck, Hockeyschläger oder Schlitten zu originellen Ablagen, Bilderrahmen zu Tabletts und Regenrinnen zum Weinregal.

Textilien sind ebenfalls eine gute Basis für das unkompli­zierte Upgrade. Verblichene Bettwäsche, Vorhänge oder Handtücher erhalten mit Batikfarbe eine gelungene Auffrischung. Die typischen kreisrunden Muster entstehen durch Abbinden, der trendige Dip-Dye-Effekt, indem man nur den Saum ins Farbbad hängt und wartet, bis der Stoff das gefärbte Wasser langsam nach oben saugt.

Alte Werkbank aus Holz als Waschtisch
Eine alte Werkbank übernimmt, ausgestattetet mit einem Aufsatz­becken, den Part als origineller Waschtischunterschrank. Die archa­ische Anmutung macht hier den Charme aus; Foto: Bieke Claessens/living4media

Recycling – ein zweites Leben für allerlei Rohstoffe Wer nicht selbst Hand anlegen möchte, findet auch bei den Herstellern originelle Entwürfe aus wiederverwerteten Materialien. Und dass diese nichts mehr mit dem wenig raffinierten Apfelsinenkisten- Design der Öko-Bewegung in den Siebzigerjahren zu tun haben, beweisen Textilien wie Teppiche und Kissenbezüge, die zu 100 Prozent aus PET-Flaschen gefertigt werden, Tischplatten aus Briccole, wie sich die Eichenholzpfähle von Venedigs Anlegestellen nennen, oder auch Gläser, Karaffen und Vasen aus Recyclingglas. Wie bei den selbst gefertigten Stücken eint diese Objekte das gute Gefühl, nicht unnötig Ressourcen beansprucht, dafür vielmehr wertvollen oder biologisch nicht abbaubaren Rohstoffen zu neuem Leben verholfen zu haben.

Mara Sofa, Mara Sessel, Vitro Tisch von Bora
Modern grafische Möbel bilden von Natur aus einen starken Kontrast zur stuckverzierten Architektur; Foto: Eloa/Martin Müller

Lesen Sie hier, wie es sich mit einem Zwergdackel lebt. Journalistin Ariane Alter und ihr Wolfgang, ein eingeschweißtes Team.

BUCHTIPP:

Das ultimative Buch zum Wohnen

„Wohnen ist die vielleicht persönlichste Sache überhaupt.“ Ute Laatz geht in ihrem neuen Gesamtwerk auf inspirierende Weise der Frage nach, wie sich jeder Einzelne ein individuelles, wirklich maßgeschneidertes Zuhause schaffen kann. „Das große Callwey Wohnbuch“ trägt das Basiswissen zum Wohnen, die wichtigsten Trends, Stile sowie Tipps und Tricks in einem großen Band zusammen. Ganz egal ob es darum geht, eine praktikable Lösung für ein sprichwörtliches Nischenproblem oder eine Inspiration für das einfach nicht gelingen wollende Stillleben zu finden, ob die Renovierung nur eines Zimmers oder der große „Rundumschlag“ durch Renovierung oder Umzug ansteht.

Callwey, 39,95 Euro
ISBN: 978-3766724922

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