Mrs. Mint

Claudia Neumeier schwesternwerk.de - Schrebergarten Liebe
Wer gärtnert hier? Claudia Neumeier (47), Grafikdesignerin aus München, bloggt auf schwesternwerk.de über Achtsamkeit, Fotos: Ulrike Schacht, Text: Jana Henschel

Immer wenn es Claudia und ihrer Schwester als Mädchen im Wohnblock zu eng wurde, liefen sie durch die Schrebergartensiedlung hinter Omas Haus und träumten vom eigenen Garten. Drei Jahrzehnte später wurde dieser Traum für die Münchner Grafikdesignerin Claudia wahr. Wie gut es sich anfühlte, die ersten Zwetschgen vom Baum zu naschen oder das Häuschen in Weiß und Mint zu streichen, wie der Garten zum Paradies für den adoptierten Spaniel Brady wurde und zu ihrem Kraftort, als sie sehr krank war – das erzählt sie im Buch „Garden Girls“, das im Callwey Verlag erschienen ist.

Brady weiß, wie man Schrebergartenliebe zeigt. Sobald wir auf den Parkplatz der Anlage fahren, fängt unser Hund auf der Rückbank an zu jodeln. Kurz vor der Parzelle wird sein Schritt stets etwas schneller. Und kaum haben wir das Tor geöffnet, wälzt er sich vergnügt im Gras. Das Leben im Schrebergarten ist herrlich, auch für mich und meinen Mann. An Sommer-Wochenenden tauschen wir unsere 60-Quadratmeter-Wohnung gegen unser Häuschen im Grünen. In der Woche verbringen wir die Mittagspause oder Meetings hier. Ich bin freie Grafikdesignerin, mein Mann Typograf, wir teilen uns ein Studio um die Ecke. Aber hier draußen können wir uns viel besser konzentrieren und tanken nebenbei noch Kraft. Als Klaus vor sieben Jahren sagte, dass er einen Schrebergarten will, traf er bei mir auf offene Ohren.

Meine Schwester und ich wuchsen im Wohnblock auf, acht Stockwerke, viel Beton, wenig Grün. Wir wollten schon als Kinder einen Garten. Aber unser Vater sagte, so was sei nur gekaufte Arbeit. Also spielten wir weiter Floristin, sammelten Blumen und verkauften Sträußchen für ein paar Pfennig, vom Erlös holten wir Brauseplättchen. Der Traum vom Garten blieb. Drei Jahrzehnte später wurde er doch noch wahr. In Schwabing, wo Oma wohnte, gab es eine Anlage mit 102 Gärten. Klaus und ich gingen dort oft spazieren. 2011 ließen wir uns auf die Warteliste setzen. Mein Mann träumte: Unser Garten soll in der Mitte der Anlage liegen, damit weder die U-Bahn noch die nahe Autobahn zu hören sind. Und er soll nach Süden ausgerichtet sein, sodass möglichst lange die Sonne auf das Häuschen scheint. Seine Vision wurde wahr: Im Herbst 2013 bekamen wir genau so einen Garten angeboten – echt schnell, heute ist die Wartezeit deutlich länger. Wir zahlten 2.300 Euro an den Kleingartenverein und 600 Euro Ablöse an die Gartenvorbesitzerin für 266 Quadratmeter samt Zwetschgen- und Apfelbaum, Beerensträuchern, Schuppen, Geräten und einem Elf-Quadratmeter-Häuschen.

Color Code: Fensterläden, Dachbalken und Gartentor tragen eine Wetterschutzfarbe auf Acrylbasis in Claudias Lieblingsfarbe Mint (Farbnummer: „05.19.05“), die Tischplatte auf dem Klappgestell im Haus einen Acryl-Hybridlack („50.18.03“, beide Hornbach).

Das hatte sogar eine Solaranlage auf dem Dach – ziemlich praktisch, denn es gibt keinen Strom. Ich war so happy, als wir das erste Mal übernachteten, als ich die alte Anrichte strich und im Herbst Zwetschgen vom Baum aß. Zu Weihnachten bekam ich lauter Gartenbücher geschenkt. Im Winter machten wir Pläne, was wir pflanzen werden und ich noch alles in meiner Lieblingsfarbe Mint streichen könnte. Dann bekam ich Brustkrebs. Die Welt stand still. Während der Chemo von April bis Oktober 2014 war ich nur schlapp, konnte nichts tun. Trotzdem kam ich oft her, legte mich aufs Bett und beobachtete die Natur oder Klaus, wie er Hochbeete baute. Der Garten stärkte meine positive Lebenseinstellung, er heilte mich, das Summen der Hummeln wurde meine Meditation. Und wirklich: Hier wurde ich gesund. Seitdem behandele ich die Natur mit noch mehr Respekt. 

Tolle Idee: Die Kommode vom Vorbesitzer frischte Claudia auf, indem sie jede Schubladenfront in einer anderen Farbe strich und Porzellanknäufe (Dawanda) dranschraubte.
„Unterm Blätterdach der Efeu-Lounge bleibt es an heißen Tagen kühl. Klaus hat die Bänke aus Holz selbst gebaut. Sie ziehen Gäste magisch an.“

Bei mir darf jede Schnecke leben, Wühlmäuse können Kohlrabis anknabbern, unser Rasen wurde zur Wildblumenwiese, die Bienen und Hummeln glücklich macht. Das Schreberleben ist gar nicht so spießig, wie die meisten sich das vorstellen. Meine Nachbarn sind super nett, wissen immer Rat, sie lesen sogar meinen Blog! Und seit wir Brady vor zehn Jahren aus einer spanischen Tötungsstation retteten, ergibt der Garten noch mehr Sinn. Hier können wir alle den ganzen Tag draußen sein. Der Garten ist auch zum Treffpunkt für unsere Freunde geworden. Die sind auch schon Gartenfans, helfen oder machen Pesto aus unserem Bärlauch. Selbst meine Eltern lieben es heute, hier Unkraut zu jäten, meine Schwester kommt so oft wie möglich vorbei. Wenn wir alle unterm Efeudach sitzen und Hugo trinken, lächele ich still in mich hinein. Weil unser Traum vom Garten nun doch noch für alle wahr wurde.

BUCHTIPP: 

Garden Girls: 20 Frauen und ihr Traum von der eigenen Laube

20 Frauen und ihr Schrebergartenglück. Sie arbeiten als Grafik-Designerin, Architektin oder Interior-Stylistin in den tollsten Berufen der Stadt, doch nach Feierabend blüht ihre Kreativität hinter dem Gartenzaun erst richtig auf. Dann bauen sie Hochbeete und Palettensofas, pflanzen Zucchini und Himbeeren, kochen Marmelade und brauen Rosenlimonade – und feilen an der Einrichtung ihrer Gartenlaube. In Garden Girls präsentieren 20 Schrebergärtnerinnen ihren Traum von der eigenen Laube, zeigen ihre schönsten Einrichtungsideen, geben genial einfache Pflanz- und Interior-Tipps zum Nachmachen und verraten ihre besten Rezepte aus dem Garten.

Callwey Verlag, 29,95 Euro
ISBN 978-3766722768

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